Titelthema
Was heißt denn hier Team?
Wenn ich während einer Fortbildung die Teilnehmerinnen danach frage, was denn Team eigentlich heiße, blicke ich in der Regel in recht ratlose Gesichter. Manchmal kommt es vor, dass unter den Teilnehmenden ein Spaßvogel ist, der dann den Spruch präsentiert: "Team heißt: Toll, ein anderer macht’s", und damit zur allgemeinen Belustigung beiträgt.
Die gemeinsame Diskussion über gute und schlechte Teamerfahrungen offenbart dann aber leider häufig die Erkenntnis, dass in dem flotten Spruch viel Wahrheit steckt und manche Teams von dem inspirierenden Leitgedanken "Team = Talentierte einzelne arbeiten miteinander" meilenweit entfernt sind.
Das Wort "Team" ist inzwischen fest im deutschen Wortschatz verankert, sodass kaum noch jemand um den amerikanischen beziehungsweise englischen Ursprung des Wortes weiß. "Team" heißt übersetzt schlicht und einfach "Mannschaft". Und wenn man danach fragt, was denn eine gute und erfolgreiche Mannschaft im Sport auszeichnet, kommt man auch schnell zu den Merkmalen guter und erfolgreicher Teamarbeit im sozialpädagogischen Feld.
Zunächst einmal muss sich eine Mannschaft darüber im Klaren sein, welches Spiel gespielt werden soll. Für manche klingt diese Frage banal oder lächerlich. "Wir arbeiten doch alle im gleichen Haus", lautet dann die Antwort. Aber haben die Mitglieder des Teams Kindertageseinrichtung tatsächlich ein gemeinsames Verständnis davon, was sie da tagtäglich miteinander "spielen"? Decken sich die individuellen Vorstellungen über Bildung, Erziehung und Betreuung und sind diese Gedanken in einer Konzeption - verbindlich für alle -festgehalten?
Gleiche unter Gleichen?
Will eine Mannschaft ihre sportlichen Ziele erreichen, muss sie gut überlegen, wie sie aufgestellt ist. Es macht keinen Sinn, das Spielfeld mit lauter Gleichen unter Gleichen zu betreten. Im Fußball zum Beispiel braucht es neben den Verteidigern auch Spieler im Mittelfeld und im Sturm. Das sind gänzlich unterschiedliche Rollen, die völlig unterschiedliche Funktionen und Aufgaben mit sich bringen. Demgegenüber wird in vielen Kindertageseinrichtungen die Idee gelebt, dass jede alles können muss. Jedes Teammitglied muss zum Beispiel einmal die Teamsitzung moderieren. Manchmal sogar mit der disziplinarisch orientierten Begründung, "damit jede auch mal am eigenen Leib spürt, wie schwer das ist". Abgesehen davon, dass ich als Kita-Leitung das wichtige Führungsinstrument der Sitzungsleitung niemals freiwillig aus der Hand geben würde, ist mit dieser Aufgabe die Überforderung mancher Teammitglieder vorprogrammiert. Am Ende sind alle frustriert: die überforderte Moderatorin genauso wie die über den schlechten Sitzungsverlauf frustrierten Teammitglieder.
Um es pointiert zu sagen: Wer alle Teammitglieder gleich behandelt, handelt ungerecht! Gerecht und klug ist es hingegen, die Menschen ihren Stärken entsprechend einzusetzen. Was natürlich voraussetzt, dass die Teamleiterin ihre Teammitglieder gut kennt.
Eines der schönsten Bilder für ein Team ist aus meiner Sicht ein Orchester. Wer schon einmal ein Konzert eines klassischen Orchesters besucht hat, weiß um den Gänsehaut-Effekt, den die Musiker unter der Leitung ihres Dirigenten bei den Zuhörern erzeugen können. Harmonie bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens Zusammenspiel und nicht Gleichklang. Wenn alle den gleichen Ton spielen würden, würde nur ein langweiliger gleichmäßiger Ton den Konzertsaal füllen. Das Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente aber, die Melodie und der Rhythmus machen den Reiz aus. Und: Ein Orchester bietet immer wieder auch einem Solisten eine Plattform für ein Solo. Danach reiht sich der Solist wieder ein, und die Musiker sind stolz auf die Leistung eines ihrer Teammitglieder. Im sozialen Feld hingegen beobachte ich leider häufig, dass an dieser Stelle der Neideffekt zum Tragen kommt und bereichernde Soli verhindert werden.
Rollen im Team
Walt Disney hat für seine Filmprojekte eine Methode entwickelt, die ihm half, seine Ideen zu bewerten, umzusetzen oder auch zu verwerfen. Nacheinander schlüpfte er in drei Rollen und diskutierte seine Ideen aus drei unterschiedlichen Blickwinkeln: aus der Sicht des "Träumers" (Visionär und Ideenlieferant), des "Realisten" (Macher) und des "Kritikers" (Qualitäts-Manager). Man kann sich leicht vorstellen, dass diese völlig unterschiedlichen Rollen nicht immer gleicher Meinung sind. Aber sie brauchen sich, weil sie sich gegenseitig ergänzen.
Auch ein Kindergartenteam ist gut beraten, einmal zu überprüfen, welche Rollen im Team eingenommen werden, und entsprechend zu handeln, falls sich herausstellt, dass man einseitig beziehungsweise unterbesetzt ist. Folgende Rollen (vgl. Gellert/Nowak 2007) möchte ich empfehlen:
- Leiterin/Moderatorin: Sie leitet und strukturiert, behält das Ganze im Blick, setzt Impulse, überwacht Vereinbarungen, denkt weitblickend und konzeptionell.
- Umsetzerin/Koordinatorin: Sie entwirft Aktionspläne, behält die Machbarkeit im Auge, entwirft sinnvolle Arbeitspakete, motiviert in Schwächephasen, sorgt für Durchhaltevermögen.
- Kreative Ideengeberin: Sie denkt unkonventionell, ist experimentierfreudig, spontan und ideenreich, aufgeschlossen gegenüber Neuem, vertrauensvoll und offen.
- Vernetzerin: Sie pflegt Außenkontakte, sorgt für Informationsfluss, informiert über wichtige Entwicklungen und Tendenzen, spürt externe Unterstützung auf, ist kontaktfreudig.
- Teamarbeiterin: Sie sorgt für den Teamzusammenhalt, integriert Außenstehende, sorgt für Harmonie, achtet auf die Teamatmosphäre.
- Detailarbeiterin: Sie bringt Dinge wirklich zu Ende, betont und beachtet das Detail, gibt Dingen den letzten Schliff, achtet auf Qualität und Termintreue, ist gründlich und gewissenhaft.
Auch hier wird schnell klar, dass die Welt, aus den unterschiedlichen Perspektiven betrachtet, sehr unterschiedlich aussieht. Aber Teams brauchen diese Unterschiede, wenn sie sich weiterentwickeln wollen. Wer nur einen Hammer als Werkzeug kennt, für den ist jedes Problem ein Nagel.
Entscheidungen treffen
Teams müssen Entscheidungen treffen und eine der wichtigsten Führungsaufgaben besteht darin, dafür zu sorgen, dass Entscheidungen getroffen und die Beschlüsse umgesetzt werden. Immer wieder beobachten kann man im Feld der Kindertageseinrichtungen, dass die Wege der Entscheidungsfindung unklar bis nebulös sind. Im Grunde genommen existieren nur drei Verfahren:
- Die Leitung entscheidet allein.
- Die Leitung entscheidet allein, nachdem sie sich hat beraten lassen.
- Die Leitung entscheidet zusammen mit dem Team.
Dabei entspricht das dritte Modell in aller Regel einem weit verbreiteten Verständnis von Demokratie und Partizipation. Jede will bei allem mitreden und selbstverständlich bei allem mitentscheiden. Leider gesellt sich zu diesem Ideal gerne die Unverbindlichkeit. In der Praxis zeigt sich das in dem Phänomen, dass Teambeschlüsse nicht umgesetzt werden, weil die im Abstimmungsprozess unterlegene Minorität für sich die Ausnahmeregelung einfordert. Ein Team muss sich also Klarheit darüber verschaffen, wie Entscheidungen getroffen werden - und zwar bevor es etwas zu entscheiden gibt. Kann sich die Mehrheit darauf verlassen, dass die unterlegene Minderheit den Beschluss mitträgt? Oder sollte es bei weitreichenden Beschlüssen nicht besser ein Vetorecht der Leitung geben oder eine Sperrminorität den Status quo aufrechterhalten können?
Harmoniebedürfnis
Wenn ein Team verstanden hat, dass das Prinzip "Gleiche unter Gleichen" wenig zielführend ist, wenn es Vielfalt und Unterschiedlichkeit nicht nur akzeptiert, sondern gewinnbringend nutzt, steht es vor der nächsten Herausforderung: ein achtsamer Umgang mit dem häufig anzutreffenden großen Bedürfnis nach Harmonie und Nähe. Sozialpädagogisch ausgebildete Menschen besitzen üblicherweise eine stark ausgeprägte Fähigkeit, Beziehungsaussagen und damit auch Beziehungsstörungen wahrzunehmen. Zum Talent gesellt sich jahrelanges Training - und so entpuppt sich eine absolute Stärke gelegentlich als große Falle im täglichen Miteinander. Die Arbeit mit Kindern, die sich sprachlich noch nicht sehr differenziert ausdrücken können, macht es erforderlich, auch kleinste nichtsprachliche Signale wahrzunehmen. Die Kehrseite dieser Fähigkeit zeigt sich dann mitunter in einer übertriebenen Sensibilität unter den Kolleginnen mit entsprechenden allergischen Überreaktionen.
Unklare Ziele
Pädagogen lernen derzeit durch den kompetenzorientierten Lernbegriff mehr auf das Ergebnis und weniger auf den Prozess zu achten. Das war nicht immer so, und deshalb finden wir in vielen Leitbildern und Konzeptionen von Kindertageseinrichtungen immer noch Ziele, deren Erreichung niemals überprüft werden kann. Im Klartext heißt das, dass ich mich noch so sehr anstrengen kann, ich werde niemals wissen, ob ich das geforderte Ziel erreicht habe. Dann ist es aber auch egal, ob ich mich überhaupt auf den Weg mache. Das ist für jedes Teammitglied wenig motivierend. Wenn der Weg zum Ziel wird, ist die Tür zur Beliebigkeit weit geöffnet. Hilfreich ist eine Zusatzfrage: Woran merke ich, dass ich dieses Ziel erreicht habe? Dann kann ich ein so hohes Ziel wie die Förderung einer gemeinschaftsfähigen und eigenverantwortlich handelnden Person auf einer Ergebnisqualität durchbuchstabieren.
Untersteuerung
Bei der Feuerwehr finden wir detaillierte Pläne für Szenarien, die hoffentlich niemals eintreffen werden. In den meisten Kindertageseinrichtungen hingegen sind nicht einmal die alltäglichen Verfahren beschrieben und schriftlich festgehalten. Zugegeben, dieser Vergleich ist heftig, aber er trifft doch häufig die Realität. Ein Beispiel: Eine neue Mitarbeiterin kommt in die Kindertageseinrichtung, es besteht jedoch kein Einarbeitungskonzept, an dem man sich orientieren könnte. Oder: Eine Schülerin interessiert sich für ein Praktikum, es gibt jedoch keine Checkliste, die es erleichtern würde, verbindliche Informationen zu geben. Dieser Umstand ist für viele Kita-Teams immer wieder mehr als nur eine große Herausforderung und Ursache vieler Konflikte.
Georg Roller
ausgebildet in Erwachsenenbildung (M. A.) und als Dipl.-Sozialpädagoge (FH), Zusatzqualifikationen als Supervisor (DGSD), Organisationsberater (DGSD), Gemeindeberater (IPB), Mediator (IPB), seit 1998 in eigener Praxis als freiberuflicher und unabhängiger Berater.
Literatur
Manfred Gellert, Claus Nowak: Teamarbeit - Teamentwicklung - Teamberatung. Ein Praxisbuch für die Arbeit in und mit Teams; Meezen: Limmer Verlag 2007